Einer unserer Leser möchte den Artikel Innsbruck – Wien – Innsbruck aus Wiener Sicht beleuchten. Sehr schön, vielen Dank!
Gastkommentar aus Osten
Wie versprochen, ich habe ja vor einigen Tagen zugesagt, wenn sich denn der Anlass bietet, einen BLOG-Kommentar zu Tirol und den Tirolern zu verfassen. Nun, der Anlass hat sich geboten. Bevor ich aber in die Thematik einsteige, sollte ich noch klarstellen, dass ein BLOG-Eintrag eine Meinung und keine soziopolitische Analyse mit Quellenangaben und Zitaten ist.
Der Anlass
Ein Facebookfan der tirol-blog-org Seite hat ja den Vorschlag gemacht, Bayern gegen Wien zu tauschen. Ernst gemeint oder nicht, solche Vorschläge hört man ja immer in den unterschiedlichsten Varianten. Jedenfalls, wenn man etwas gegen etwas anderes tauschen möchte, dann will man es im Prinzip loswerden, oder es ist einem lästig. Weit gedacht hat man dabei vielleicht nicht, denn was Aschaffenburg und Bayreuth mit Tirol stärker verbindet als Wien mit Innsbruck ist mir im Moment schleierhaft.
Wenn man also den Denglischen Begriff „Bashing“ einführen möchte, so kann man das obige Zitat schon als dessen Ausdruck verstehen. Andere Ausdrucksformen dieses Wien-Bashings sind Aussagen wie: Wien, der Wasserkopf… Die großkopferten Wiener oder das Zusammenbringen von Wien und Balkan. Die Verbreitung solcher Aussagen und der Grad des Misstrauens gegenüber den Wienern nimmt von Ost nach West rasch zu. Dabei beruht dieses Misstrauen aber nicht einmal auf Gegenseitigkeit. Ich habe etliche Monate in Folge während meiner Studentenzeit in Innsbruck gelebt und es war eine lässige und lustige Zeit. Häufig gab es auch die Wasserkopf-Wuchtel für mich zu hören. Es wäre übertrieben zu sagen, es kränkt mich, aber in jedem Fall ärgert es mich, weil die Mär von den wasserköpfrigen Wienern eine ziemlich dumpfe und unreflektierte ist.
Wien mal 2
Was sehr oft (bewusst) übersehen wird, ist dass es aus westlicher Sicht eigentlich Wien 2 mal gibt. Das eine ist das politische Wien, der Sitz der Regierung, des Präsidenten, der gesamten Verwaltung usw. usf. Das andere ist das Bundesland Wien. Ärgert sich ein Tiroler über Wien, so geht es meistens um das erste Wien, Föderalismus vs. Zentralismus. Landeskompetenzen versus Bundeskompetenzen, unfähige Regierungspolitiker. Wien ist aber vor allem, neben der Rolle als Hauptstadt, die Heimat von 1,8 Mio. Wienern mit ihren eigenen Sorgen und Problemen abseits der Bundespolitik. Wenn man das also zusammen wirft, ist es umso ärgerlicher, dass wir Wiener persönlich den Ärger der anderen Österreicher über Politik und Verwaltung ausbaden müssen, und das umso mehr, je weiter im Westen man sich ärgert.
Ausnutzung
Es ist dieses Wien der Wiener, abseits der Regierung und Verwaltung, das, von einigen Bundesländern weniger, von anderen mehr, im Gegenzug auch ausgenutzt wird. Die Rechnung dafür ist einfach. Offiziell sind es 1,8 Mio Wiener, in Wahrheit sind es aber weit mehr als 2 Millionen, die diese Stadt bevölkern oder hier arbeiten. Viele von diesen inoffiziellen Wienern haben in Wien einen Nebenwohnsitz, oder pendeln aus dem Speckgürtel, der diesen Namen zu recht trägt, oder von noch weiter her in die Stadt. Wien muss also z.B eine Infrastruktur für 2,2 oder 2,3 Mio Leute bereitstellen, der Bund hingegen stellt per Capita eben diese Mittel nur für 1,8 Mio Wiener bereit. Aus dem Defizit ergeben sich solche Dinge wie der unansehliche Gürtel und andere Unzulänglichkeiten, während das Umland, wie Klosterneuburg, Mödling und andere Speckgürtelmetropolen (und wie auch der NÖ Finanzlandesrat) mit der Situation überglücklich sind.
Vernünftiger Umgang
Um hier aber auch wieder versöhnlich abzuschließen: Tirol und das Wien der Wiener haben etwas Wichtiges gemeinsam. „Wir Tiroler“ und „Wir Wiener“ packt viele Tiroler und Wiener gleichermaßen emotional, viele fühlen sich angesprochen. „Wir Burgenländer“ verhallt hingegen leise. Die Gründe zu erörtern ist jetzt nicht das Thema, das Thema ist vielmehr, dass sich das echte Wien und das heilige Land eigentlich nie in die Quere kommen, wohl aber das politische Wien und die Bundesländer. Das gehört natürlich artikuliert, aber bitte sauber. Und dass es als Gegenmaßnahme nicht ausreicht, einfach irgendwelche Leute aus dem Westen in die Bundesregierung zu setzen, sondern diese bitte auch zusätzlich für den Job talentiert sein sollten, wissen wir auch seit Gorbach und Gehrer. Herrn Platter lasse ich aus Taktgefühl außen vor.
Pannonische Grüße in den Westen
Danke für diesen ausfürhlichen Gastbeitrag aus Wien! Das Problem des Speckgürtels ist nicht nur in Wien vorhanden, sondern auch in allen anderen Metropolen in unseren Breitengraden. Auch Innsbruck muss die Infrastruktur für wahrscheinlich doppelt so viele Menschen wie Einwohner bereitstellen, da hier auch viele Tiroler hinpendeln.
Schön auch die Aufteilung in zwei Wiens. Ich sehe das ähnlich, eine Hauptstadt mit ansässiger Politik steht eben immer im Mittelpunkt und die Bürgern werden mit der ausgeübten (schlechten) Politik praktisch gleichgestellt. Ich finde aber durchaus, dass auch das zweite Wien mit dem zweiten Tirol in Kontakt kommt, nämlich dann wenn beide in einem Skilift sitzen. Leider fällt es dann meistens nicht nur durch den Dialekt auf, dass er aus Wien ist, sondern auch durch die Ausdrucksweise…
also ich kennen diese Zeilen von irgendwo 😉 Jedenfalls, wie so oft muss man ein bisserl aufpassen. Ich kann die Skiliftproblematik gut nachvollziehen, diese und die Problematik mit den protzvollen Skihütten, in denen sich Frittierfettgeruch auf schlitzigem Boden mit Toilettenabluft beim Verzehren eines tief im Inneren noch gefrorenen Germknödels vermischt, haben meine Abkehr vom Snowboarden, zumindest in Österreich, vor einigen Jahren bewirkt. 2 Kommentare dazu. Ich würde einen *tieafen* Wiener mit einem *tieafen* Tiroler gleichstellen, beide sind mir gleichermaßen unsympathisch. Das zweite, und das hat mit dem Wienerischen an sich nichts zu tun ist ein oftmals falsch verstandener Gastgedanke, vor allem, wenn man zu denen gehört, die sich nur 1x im Jahr etwas leisten können (Mallorca oder ein Skiurlaub). Es verleitet dazu, sich einzubilden, man habe gezahlt und könne sich aufführen wie jemand, dem das ganze Skigebiet gehört. Trifft man auf so einen Wiener, gepaart mit der Tatsache, dass er auch noch tief drauf ist, kann ich mir die Antipathie am Lift gut vorstellen. Das führt insbesondere dazu, dass ich, wenn ich in Übersee jemanden Deutsch sprechen höre, mich tunlichst in die Gegenrichtung verabschiede.
Lg
M.
Hallo M.anfred,
ich kenne das vor allem vom Gardasee. Wenn sich hier die Tiroler zu Pfingsten mit voller Kraft aufführen wie die Wahnsinnigen kann es schon mal zum Fremdschämen kommen.
Danke auf jeden Fall für deinen wirklich gut geschriebenen Artikel 🙂
Übrigens: schräge SEite die du da hast….
😉 Über diese schräge Seite bzw. meinen Blogkollegen Clemens (alpenwetter) bin ich überhaupt erst auf Euch gestoßen.
Schönes Wochenende !
M.anfred
Ich, Wiener, war letzte Woche in Tirol auf Urlaub und muss sagen, dass mir diese ständigen schnippischen Wien Kommentare mächtig am Geist gegangen sind. Grundsätzlich hat es mir sehr gut gefallen, schöne Skigebiete und Innsbruck ist aus meiner Sicht nach Wien die interessanteste Stadt Österreichs mit seiner spektakulären Lage und dem besonderen Flair, gefällt mir persönlich besser als Graz oder Salzburg. Die Leute waren auch nett. Also zurück zu dem Wien Thema, ich finde dieses Anbiedern an Tirol des oberen Blog unangebracht. In ganz Europa ist es so die Leute aus anderen Regionen des Landes sind oft gegen die Hauptstädter. Wäre ich in anderen Regionen Österreichs aufgewachsen, wäre ich vielleicht genauso. Da ich das aber nicht bin, habe ich eine ganz andere Sichtweise. In Wien redet niemand über die Grazer, Innsbrucker, Linzer etc. … weder negativ noch positiv, warum – weil es einfach kein Thema ist. Es gibt zumindest zumeist einen kulturellen Unterschied zwischen Einwohnern einer Grossstadt (auch wenn Wien weltweit gesehen keine grosse Stadt ist) und Einwohnern aus dem ländlichen Bereich oder kleinerer Städte. Es würde so gut wie kein Wiener nach Tirol, Graz oder sonstwohin in Österreich ziehen, es ist uns einfach zu klein, zu ruhig und die Mentalität ist eine andere. Ein Wiener würde eher in eine andere europäische Grossstadt als in eine österreichische Bundeshauptstadt ziehen. Daher eine info an alle Wien Hasser: jene Wiener die nach Tirol ziehen und sich anbiedern und schlecht über Wien sprechen, sind wahrscheinlich 0,01% der Wiener Bevölkerung, der Rest würde Wien den Bundesländern immer vorziehen. Das soll kein Plädoyer gegen Tirol sein, ganz im Gegenteil. Ich finde es cool und auch gut, dass Österreich viele unterschiedlichen Facetten hat und würde jedem Touristen empfehlen mal dorthin zu fahren. Also jedem das seine, nur bitte, jene Tiroler die aus falsch verstandener Heimatliebe ständig Wien kritisieren müssen, bleibts auf dem Boden, wir würden auch nicht nach Tirol ziehen, interessiert uns einfach nicht, das heisst aber nicht, dass wir jedem Tiroler den wir in Wien treffen versuchen Tirol schlecht zu reden. So kann man auch positiv gestimmten Touristen ein wenig auf die Nerven gehen. In diesem Sinne, entspannt euch alle miteinander dann kommen wir auch weiterhin gern schifahren. Gruss an alle jene Tiroler, die wissen auf was ich hinaus will.