Der Winterurlaub eines Bekannten mit Erfahrung aus 35 Jahren Alpinski und 150 besuchten Skigebieten brachte ihn dieses Jahr in Tiroler Oberland. Dabei besuchte er erstmalig auch den Kaunertaler Gletscher und war von dem bislang so noch nicht erlebten Eingriff in die abgelegene hochalpine Landschaft mit vergleichsweise geringem skisportlichen Wert geschockt. Er hielt seine Gedanken fest und bat mich, sie hier zu veröffentlichen…
Das sinnlose Gletscherskigebiet Kaunertal
Mein Familien-Skiurlaub im Tiroler Oberinntal ermöglichte mir den Besuch des Skigebiets Kaunertaler Gletscher, für das allein ich mir wohl nie die Mühe gemacht hätte, die Region anzusteuern. Der Kaunertaler Gletscher wurde als letztes der Tiroler Gletscherskigebiete gegen den Protest der Alpenvereine und Umweltschutzverbände erst im Jahr 1980 erschlossen; danach war Schluss. Mit dem Projekt wurden den Kaunertalern damals goldene Zeiten in Lohn und Brot versprochen. Unsere Vermieterin, die Kaunertaler Verwandtschaft hat, berichtete, dass das so nicht eintrat. Viele Kaunertaler Vermieter beklagen nach ihren Worten Zimmerleerstand, denn länger als ein verlängertes Wochenende mag nur ein Teil der Skigäste im Kaunertal bleiben. Den ursprünglichen Sommerskibetrieb am Kaunertaler Gletscher hat man wegen Gletscherschwunds eingestellt.
Autos auf 2750m – muss das sein?
Die langsame Anfahrt ab Feichten auf der kurvenreichen, schmalen, z.T. reparaturbedürftigen Mautstraße zieht sich weiter am langen Stauseebecken entlang und erreicht endlich den Talschluss. Wer hier am Fernergries bzw. am Gepatschhaus auf rund 2000m Höhe in hochalpiner Kulisse endlich das Skigebiet Kaunertaler Gletscher erwartet, wird eines besseren belehrt. Die serpentinenreiche Straße wurde noch weiter hinauf in ein Seitental gebaut, wo die Zubringer-4er Sesselbahn Ochsenalm erst auf 2150m Höhe startet. Auch hier ist noch nicht Schluss damit, den Individualverkehr in sensible, hochalpine Bereiche zu schaufeln. Die Mautstraße wurde bis zur Skigebiets-Mittelstation Weißsee auf 2750m Höhe hinauf gebaut. Sie wird selbst im Winter bis hier oben geräumt, und es gibt hier direkt am Gletscher große Parkflächen – für mich eine nicht zeitgemäße Disneyland-Impression. Das Kaunertaler Skigebiet ist mein erstes in 35-40 Jahren Alpinski, in dem ich mich wegen der übermäßigen Inanspruchnahme sehr abgelegenen, hochalpinen Geländes zum Zweck des mechanisierten Skisports deplaziert fühle und den Anlass meines Besuchs – Skifahren – in Frage stelle. Irgendwo gelten ethische Erschließungslimits, irgendwo gehören Autos und Pistenskifahrer abseits besiedelter Gebiete ganz einfach nicht hin. Das wurde hier missachtet.
Kaunertaler Gletscher – Skigebiet zum Langweilen
Ich parke mein Auto also an der „Talstation“ Ochsenalm auf 2150m Höhe und fahre mit der 2700m langen 4er Sesselbahn Ochsenalmbahn hinauf zur Station Weißsee. Angesichts der aufwändigen Anfahrtserschließung ohne Berücksichtigung von Naturschutzprioritäten erwarte ich hier oben nun wenigstens ein hochattraktives Skigebiet, das seines Gleichen sucht. Doch weit gefehlt. Ab der Station Weißsee auf 2750m Höhe erschließen fünf Schlepplifte ein Terrain zwischen flach und ganz flach, für das selbst die Pistenfarbe blau zum Teil noch geschönt ist. Die 8 Umlaufgondelbahn Karlesjoch (Bj. 2008), die den mit 3107m höchsten Punkt des Skigebiets Kaunertaler Gletscher erschließt, besitzt laut Pistenplan als einzige Anlage immerhin eine rote und eine schwarze Abfahrt. Doch selbst diese entpuppen sich beim Fahren als real blau mit ein oder zwei kurzen Steilstücken zum Beschleunigen. Das war’s dann auch schon. Der Rest ist Kinderskischulgelände mit ~30 km Anfahrtsweg aus dem Inntal – der vom Skiangebot her mit Abstand unattraktivste der vier erschlossenen Tiroler Gletscher. Für ein derart anspruchsloses, langweiliges Skigebiet hat man also die einzigartige Abgeschiedenheit eines kompletten inneralpinen Gletscher-Hochtals vernichtet. Prost Mahlzeit. Wie das hier im Sommer ist, wenn auch noch nervtötender Motorradlärm durchs Hochtal brüllt, will ich gar nicht erst wissen. Einzige Glanzpunkte meines Skitages bleiben die übergreifende Hochgebirgsimpression und der tolle Blick aus dem Karlesjoch ins Langtauferer Tal und über halb Südtirol bis zur Berninagruppe.
Und jetzt noch eine Bahn auf die Weißseespitze?
Am Kaunertaler Gletscher ist die zusätzliche Erschließung der 3526m hohen Weißseespitze mit Seilbahnanlagen projektiert. Ich drücke ausnahmsweise die Daumen, dass dieses Projekt nicht durchkommt. Als Alpinskifan bin ich grundsätzlich weder gegen lifttechnische Verbindungs-Erschließungen noch gegen Neuerschließungen, wo diese infrastrukturell Sinn machen und keine besonders sensiblen Bereiche beeinträchtigen. Aber in der Abgeschiedenheit des Kaunertaler Gletschers empfinde ich Neuerschließungen im Stil von 1975 im Jahr 2011 als nicht mehr zeitgemäß.
Fazit: Gletscherskigebiet schließen!
Das Skigebiet Kaunertaler Gletscher schlage ich (als meine persönliche Premiere) wegen seiner Unverhältnismäßigkeit zwischen Banalität der Abfahrten und übermäßig aufwändiger Anfahrtserschließung als Tiroler Skigebiets-Renaturierungs-Großprojekt vor. Soll man den Betrieb meinetwegen noch 10 Jahre laufen lassen, aber dann ist’s damit auch gut. Die Mautstraße gilt es im Rahmen eines solchen Projekts gleich mit zu beseitigen, um den Zustand vor 1980 wieder herzustellen. Täler wie das Kaunertal werden im Jahr 2011 für andere Tourismusarten benötigt als mechanisierten Alpinskisport, wenn sie für letzteren keine optimalen Voraussetzungen mitbringen. Der Begriff des „sanften Tourismus“ wird oft von Öko-Fundamentalisten missbraucht, um ihre Ideologie auf nicht wirklich schützenswertes Terrain anzuwenden, aber ins Kaunertal passt er. MTB, Bergsteigen, Klettern, Schneeschuhlaufen, Skitouren – so etwas gehört (aus meiner Sicht) dorthin. Läge der Kaunertaler Gletscher nicht 30 km weit abgelegen in einem sensiblen Hochtalbereich, sondern (fast) direkt überm Inntal, würde ich die Situation anders beurteilen.
Gerne nehmen wir von den Kaunertaler Gletscherbahnen zu Ihren Ausführungen Stellung. Meinungen und Kritiken über unser Gebiet – wie die Ihrige – nehmen wir gerne zur Kenntnis. Wir versuchen Verbesserungsvorschläge umzusetzen, möchten jedoch auf unsere Stärken und auf unsere Ziele aufmerksam machen.
Der Kaunertaler Gletscher steht für Ruhe und Naturverbundenheit. Er ist ein Platz für Skifahrer und Snowboarder, welche Entspannung und Individualität und eine atemberaubende Naturkulisse beim Wintersport suchen. Fern ab von Après Ski, Partystimmung, überfüllten Liftanlagen und Pisten finden unsere Gäste am Kaunertaler Gletscher diesen Rückzugsort. Entlang der bereits 1965 durch die TIWAG (Tiroler Wasserkraft AG) fertiggestellten Gletscherstraße – die heutige Mautstraße – finden Naturliebhaber im Winter wie auch im Sommer wonach sie suchen. Eine Straße bis zum Gletscher ist keine ungewöhnliche bzw. naturbelastende Einrichtung. Vorteile ergeben sich für verschiedene Zielgruppen und auch für den Betrieb der Bergbahnen selber. Familien können z.B. alles Notwendige mit ins Skigebiet nehmen – Rennmannschaften nutzen diesen Vorteil ebenfalls (verschiedene Ski, Stangen). Auch Tourengeher können bis weit ins Frühjahr hoch hinauf fahren und auf dem Schnee Ihre Skitour starten.
Anders als in vielen anderen Skigebieten bauen wir gerade darauf kein Disneyland zu sein! Haben Sie bei uns Schneekanonen/ -lanzen neben der Piste entdeckt? Haben Sie Werbung an den Liftstützten und den Bauten entdeckt? Sicher nicht, denn wir leben ein naturnahes Skifahren und Snowboarden auf Naturschnee – Das ist unsere Stärke!
Nicht jedes Skigebiet besitzt gleich steile Pisten und das gleiche Angebot – und das ist auch gut so: So hat jedes Skigebiet seinen eigenen Charakter und seine Fans! Der Kaunertaler Gletscher steht für eine junge und sportliche Zielgruppe (zahlreiche, anspruchsvolle Variantenabfahrten, ein weltbekannter Snowpark mit Superpipe, Kickern und einer Railarea) sowie Familien und Naturliebhaber, die abseits vom Trubel der überfüllten Skigebiete ein ruhiges und doch anspruchsvolles Skigebiet (Abfahrten mit einem Höhenunterschied von 1.000 Metern) suchen.
Der fast idente Beitrag wurde von Ihnen ebenfalls auf der Plattform alpinforum.com gepostet, wo sich viele Fans des Kaunertaler Gletschers kritisch mit Ihren Aussagen befassen und darlegen, wieso der Kaunertaler Gletscher für Sie ein schönes Skigebiet ist! Details sind hier zu finden: http://www.alpinforum.com/forum/viewtopic.php?f=46&t=38869&hilit=kaunertal
Im Übrigen wurde der Sommerskibetrieb nicht wegen des Gletscherschwundes eingestellt, sondern weil sich die Nachfrage der Gäste geändert hat! Was nicht vergessen werden sollte ist, dass das Gletscherskigebiet die wirtschaftliche Grundlage für viele Bewohner des Tales ist.
Wir hoffen, dass Sie trotz Ihrer Erfahrungen, die objektive Betrachtung eines jeden unterschiedlichen Skigebiets nicht außer Acht lassen und auch erkennen, wieviel Freude der Kaunertaler Gletscher unseren Gästen bereitet.
Vielen Dank für die kompetente Antwort auf unseren Beitrag. Auch wenn hier ganz klar erklärt wird, für was das Kaunertaler Gletscherskigebiet steht, so kann ich persönlich die Ausrichtung auf die zwei grundverschiedenen Zielgruppen „Familien & Naturliebhaber“ + „sporltiche junge Boarder“ nicht miteinander in Verbindung bringen.
Die vielen Events im Snowpark – vor allem das große Opening – sind für mich alles andere als „abseits vom Trubel“.
Des Weiteren, glaube ich nicht, dass das Sommerskiangebot auf Grund von Nachfrageänderungen gestrichen wurde, sondern wirklich wegen dem starken Gletscherschwund. Der Kaunertaler Gletscher, ist meines Wissens nach, einer der Tiroler Gletscher, die am schnellsten an Volumen verlieren.
Leider wurde auch nicht auf zukünftige Projekte Stellung genommen. Vielleicht wird das ja bei einem weiteren Kommentar geschehen?
Der Kaunertaler Gletscher ist eines der coolsten und lässigsten Gebiete die es überhaupt gibt. Wenn man den Aspekt „Autos auf 2750 m“ betrachtet, kann man behaupten, dass eine einzige Straße weniger Schaden bringt, als es z.B. 3 Zubringer-Bahnen in anderen Skigebieten machen, da meistens sowieso eine Straße nach oben gebaut wird.
Ich kann den einseitigen, provozierenden Bericht beim besten Willen nicht nachvollziehen.
…
zu „Kaunertal=Top“:
Ich kann deinen polemischen Kommentar auf das von „admin“ angesprochene Thema nicht nachvollziehen! admin hat sehr sachlich und themenorientiert geschrieben und den Finger in die offenen Wunden (nicht nur) des Kaunertaler Gletscherbetriebs gelegt. Das einzig Provozierende finde ich DEINEN Kommentar.
Noch zur Sache: admin hat vollkommen recht, dass es sehr fragwürdig ist, eine öffentliche Zufahrtsstraße für den Privatverkehr auf 2750m überhaupt nur zuzulassen. M.M.n. sollten das Pendelbusse erledigen.
Wenn die nach neuesten Schadstoffausstoß-Standards ausgerüstet sind, würden Tonnen von Feinstaub und Abgasprodukten aus dem schon genug gefährdeten Gletschergebiet abgehalten werden. Von der unsinnigen zusätzlichen Wärmeentwicklung einmal ganz abgesehen.
Außerdem würde ein gutes Pendelbussystem wieder Arbeitsplätze schaffen. Aber dem gemeinen Touristen ist sein Auto heilig, und wenn ihm dieses irrsinnige Spielzeug weggenommen würde, kommt er nicht?!
Falsch, es kämen andere Touristen, nämlich jene, die die wunderbare Gletscher- und Gebirgswelt um ihrer selbst lieben. Es kämen Naturliebhaber, die bis zur pervertierten Dekadenz Orte à la Ischgl oder Kitzbühel weiträumig meiden und das suchen, wofür die Alpen an sich stehen: Für eine überwältigende Kulturlandschaft, die heute nur noch brutal ausgepowert wird!
Für den fun-geilen Spaß- und Clowntouri, der mal eben auf den Gletscher fährt und unten erzählt, welche geilen „moves er in der half-pipe geshredded“ hat und die dann auf youtube einstellt, damit möglichst viele sehen, was für ein Hammer-Typ man sei, ist die Natur nur noch eine möglichst sensationelle Hintergrundkulisse für möglichst viel Oberflächengenuss und Ego-Spaß…natürlich nur, wenn ihn ein perfekt ausgetüfteltes Logistik-System möglichst bis zu den hottesten hot-spots gebracht hat, denn einen Hang mag ja der fun-orientierte Freerider oder adipöse Skitourist bitte nicht hochgehen müssen, wo kämen wir denn da hin??!! Die abgefahrendste Perversion gut betuchter Möchte-gern-Älpler wäre dann nur noch durch das Maximum an schadstoffausstoßendem Heli-Skiing zu überbieten!
So, „Kaunertal=Top“, jetzt kannst du meckern, wer hier provozierend geschrieben hat.
Und was die Bergbahnen für einen mühseligen Senf gepostet haben, entspricht nur dem hilflosen Versuch, die eigene Existenzberechtigung (vor allem der fette Kohle einstreichenden Vorstände der Kaunertal-Bergbahnen) zu legitimieren. Fast alle an die Alpen angrenzenden Länder missbrauchen die Geographie der Alpen nur noch aus pekuniären Gründen, und das zT ganz brutal auf Kosten der Natur und deren immer weiter fortschreitenden Zerstörung. Die stets zunehmende Anzahl menschlich bedingter Naturkatastrophen in alpinen Regionen legen beredtes Zeugnis davon ab.
admin hat etwas zu sagen gehabt, das war gut und richtig Punkt!
Habe die Ehre!
Hallo, eine interessante Diskussion, schade das ich dieser erst jetzt beiwohnen kann.
Das Argument, dass man doch ein hochklassiges Skigebiet erwarten könne, ist meiner Meinung nach nichtig. Das Skigebiet kann doch wohl nicht die Hangneigungen ändern!
Zur Sache mit dem Parkplatz ganz oben:
Die oben aufgeführte Feinstaubbelastung ist auch nicht haltbar, die Feinstaubbelastung ist nur wenig höher als auf anderen Gletscher denn wenn man diese mit dem Ausstoß eines oder mehreren Bahnen/Liften, die statt der Straße da wären, kommt man in etwa auf das gleiche heraus, denke ich. Mal davon abgesehen das die weltweite CO2 und Feinstaubbelastung also der Klimawandel nur 25% vom Verkehr stammt.
Ich denke es antwortet niemand mehr aber egal…
Was ist eigentlich aus den Plänen zur Ausweitung des Skigebiets auf den Gipfel der Weißseespitze geworden?